Literatur inszeniert: Bildgewaltige Mordgeschichten mit Tilman Thiemig
Der Abend beginnt mit einem gefällige Rhythmen slappenden Kontrabass. Das Saxophon stimmt schräg-melodisch ein. Schließlich eine sich leise einmischend singende Stimme: „Über Stock und über Steine, brich dir aber nicht die Beine“.
Erstes Kapitel: Kaspar. Eine literarische Narrenfigur. Der Buchtitel: „Ahrenshooper Narrenspiel“. Ein Krimi: Der zweite von drei bisher veröffentlichten Romanen des Literaturinszenators Tilman Thiemig. Der gebürtige Braunschweiger inszeniert mit viel Spaß, bildreich, wortgewaltig. Nach seinem vielbeachteten Romanerstling „Ahrenshooper Todholz“ steht diesen Abend in der Wolfenbütteler Vita-Villa von Thorsten Stelzner der Nachfolger „Ahrenshooper Narrenspiel“ auf dem Programm. Den Soundtrack zu diesem literarischen Mordvergnügen liefern langjährige Freunde und Weggefährten. Heinrich Römisch am Kontrabass und Marcel Reginatto am Saxophon.
Thiemig präsentiert anspruchsvolle Literatur-Inszenierung
Die Lesung ist, wie viele seiner Inszenierungen zuvor, ein Erlebnis. Thiemig lässt seine Protagonisten vor den Augen des Publikums lebendig werden. Er liest wohl akzentuiert, formt aus Wiederholungen, lautstarken Betonungen, handlungsbegleitenden Geräuschen, spärlichen Gesten und Stimmungen ein Ganzes. Seine Figuren erhalten eigene Stimmen, Thiemigs Intonierung folgt der Handlung, mal schreit er fast, dann flüstert er, dann wieder gibt er den smarten Erzähler. Das schafft einen Stimmungsteppich, auf dem die geneigte Zuhörerschaft die Augen schließen und sich bedenkenlos in das Erzählte und Musizierte fallen lassen kann. Das ist gewohnt anspruchsvoll, hochwertig, im Gesamtpaket stimmig, eben ein typischer Thiemig.
Bildreiches Narrenspiel und eine Eulenspiegelei
Die Geschichte des Romans spielt ein gutes halbes Jahr nach den Ereignissen des Vorgängers „Ahrenshooper Todholz“. Zu den Protagonisten gehören erneut der hochbetagte deutsch-jüdische Kanadier Robert Aaron Zimmermann und sein Fahrer Richard Sonntag. Das Narrenspiel beginnt bildreicher, wortmächtiger, mit mehr Freude am literarischen Spiel, als noch das Todholz. Und mit einer Eulenspiegelei - abgeschnittenen Pferdeschweifen, die zu einem Besuch des Ermittlers in hiesige Gefilde und das Schöppenstedter Eulenspiegelmuseum führt. Regionale Bezüge finden sich immer wieder in Thiemigs Romanen. Fast nebenbei zumeist und aufmerksames Lesen erfordernd. Easter Egg nennt man das wohl beim Film.
Mysteriöses Malerverschwinden ist Auslöser
Noch einmal zum Soundtrack des Abends: Was komplett improvisiert klingt, ist sorgfältig und mit feinem Gespür arrangierter Jazz. „Ich gebe die Stimmung vor, Heinrich und Marcel schreiben die Musik“, berichtet Thiemig nach der Lesung. Warum eigentlich Ahrenshoop? Eine Urlaubsreise habe ihn dorthin verschlagen, erzählt er. Dort sei er auf den Maler Alfred Partikel gestoßen und das Mysterium seines spurlosen Verschwindens im Oktober 1945. „Das hat mich sehr angefixt“, sagt er. Auch die Familiengeschichte Partikels zwischen Judentum und Nationalsozialismus habe ihn interessiert. Das „Ahrenshooper Todholz“ ist nach unzähligen Arbeiten in Kurzform der erste Roman. „Am liebsten sähe ich die Geschichten auch verfilmt“, erzählt er zum Schluss. Insgesamt drei Romane um seinen Helden Robert Aaron Zimmermann sind bereits erschienen, ein vierter und voraussichtlich letzter Band erscheint 2024. Apropos Easter Egg: Wer weiß – vielleicht sehen wir die vier Romane eines Tages als vierteiligen Film. Dann hoffentlich auch mit Bezügen zur hiesigen Region.
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