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Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben

Veröffentlicht am | von Redaktion
Auf diese Tafel schrieben Theaterbesucher, was sie vor ihrem Tod noch erleben möchten. Foto: Hospizverein

„Schauen Sie sich ausgiebig um, hören Sie, fragen Sie, tauschen sich aus!“ Ulrike Jürgens ruft die Besucherinnen und Besucher des Lessingtheaters zur Aktivität auf. Die Ehrenamtlichen des Hospizvereins präsentieren sich mit einem bunten Strauß ihrer vielfältigen Angebote bei einer Matinee. Alles steht unter dem Titel: „Leben! Leben bis ganz zuletzt!“ Und tatsächlich: es ist viel zu sehen und zu lesen, auch zu hören, zu bedenken – über das Leben.

Großes Interesse findet die Lesung „Geschichten aus dem Leben“. Helga Hoffmann, ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin, liest kleine Episoden. Es handelt sich um Begebenheiten, die Ehrenamtliche in der Begleitung von Menschen in den letzten Monaten, Wochen, Tagen, Stunden erlebt haben. Anschaulicher lassen sich diese besonders intensiven Lebenssituationen nicht beschreiben. Wunderbare Begleiter sind die Damen Susanne Diener, Uta Foitzik und Gudrun Peter vom Trio „Mondsüchtig“, die mit verschiedenen Flöten, Gitarre und Harfe das Gehörte unterstreichen. Sie gestalten die Zwischenräume, sodass die Geschichten in den Zuhörern nachklingen können.

Ausstellung „ich begleite dich“

In der Ausstellung „Ich begleite dich“ kommen auch Angehörige zu Wort. In einfühlsamen, persönlichen Texten beschreiben sie alltägliche Situationen. Sie sind geprägt von Gefühlen, von der Erinnerung an gemeinsam Erlebtes. Persönlich ist auch die Auswahl auf den Büchertischen: Hier stellen Ehrenamtliche Bücher vor, kommen mit den Besuchern ins Gespräch. Dabei spielen die Lebensbedingungen von Menschen mit einer demenziellen Erkrankung eine besondere Rolle. Großes Interesse gilt auch dem zukünftigen stationären Angebot des Hospizvereins im HospizZentrum in Wendessen. Die einen interessieren sich für die Aufteilung des Hauses und die Grundrisse. Andere stehen staunend vor der Gegenüberstellung der Planzeichnung mit dem ehemaligen Gutshaus. Immer wieder verweilen auch Gruppen vor der Tafel, die die Geschichte des Gutshauses von 1660 bis heute zeigt. Der Wendesser Klaus-Martin Jungkurth wird nicht müde, Fragen zu beantworten. Besonders freut er sich über Besucher, die aus ihren Erinnerungen etwas beisteuern können – so Ingrid Giesemann, die Anfang der Sechzigerjahre bei Familie Seeliger als Kindergärtnerin gearbeitet hat, oder der 90-jährige Alfred Weilbier, dessen Vater Bodenplaner des Gutshofes war. Intention der Matinee sind aber nicht nur Informationen, Unterhaltung, Gespräche. Ulrike Jürgens kündigt in ihrer Begrüßung an: „Lassen Sie sich – möglicherweise – auch ein wenig herausfordern. Lassen Sie sich erreichen für die Frage: Was ist mir wichtig für mein Leben? Was könnte mir am Ende für die vielleicht bedeutendste Phase meines Lebens wichtig sein?“

Schwarzweißporträts setzen Impulse

Erste Impulse kann die Ausstellung der Braunschweiger Künstlerin Brigitte Weihmüller geben. Die Exponate zeigen Schwarzweiß-Porträts in Verbindung mit dem Satz „Das Wichtigste im Leben ist für mich…“ Immer wieder stehen Menschen vor den Tafeln, lesen, denken nach – im Hintergrund der Klangteppich des Jazzpianisten Jan Behrens. Zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensende fordern zwei Mitmachstationen heraus: „Mein Koffer für die letzte Reise…“ und „Before I die, I want to…“. Die Hospizfrauen haben zwei Koffer aufgestellt, viele mögliche Utensilien dazugelegt. Wem etwas fehlt, kann es auch auf eine Karte schreiben. Die Entscheidung fällt nicht immer leicht. Die einen beschränken sich auf etwas, was für sie eine wesentliche Bedeutung hat. Andere können sich nicht so gut von Liebgewordenem trennen.

Was möchte ich vor meinem Tod noch erleben?

Auf dem Theatervorplatz ist die Station „Before I die, I want to…“ aufgebaut. Diesen Satz können die Menschen mit farbiger Kreide vervollständigen. Einige wenige haben sich getraut. Andere wollen lieber in Ruhe darüber nachdenken und stecken sich eine der Blankokarten ein – „für später“. Es handelt sich um ein inzwischen weltweites Kunstprojekt. Bisher sind Hunderte von Tafeln in mehr als 70 Ländern dokumentiert. „Es ist etwas Besonderes, dieses Projekt hier in Wolfenbüttel, vor unserem Theater, präsentieren zu können“, freut sich Theaterleiterin Alexandra Hupp. „Wir wünschen uns, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich daran beteiligen.“

Mit zahlreichen Informationen, Eindrücken, Anregungen oder auch Fragen an sich selbst gehen alle zurück in den sonnigen Sonntagmittag. „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ – Ist ihnen dieser Satz von Cicely Saunders, der Begründerin der modernen Hospizbewegung, in den letzten Stunden in seinen vielfältigen Facetten etwas deutlicher geworden?

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