Wolfenbüttel zeigt sich bunt und tritt für Grundrechte ein
„Wir alle sind heute aus einem guten Grund hier versammelt! Wir stehen hier gemeinsam für unsere Demokratie und unsere Grundrechte ein“, begrüßte Bürgermeister Ivica Lukanic die rund 2000 Besucherinnen und Besucher am Samstag, 9. März 2024, auf dem Schlossplatz. Dorthin hatte die Stadt Wolfenbüttel zum Fest für die Demokratie eingeladen. Musikalisch wurde dieses von der Jazzkantine untermalt.
Vor der Feier erinnerte Lukanic in seiner Rede an den ernsten Hintergrund, warum sich seit vielen Wochen regelmäßig Bürgerinnen und Bürger versammeln, die sonst als die so bezeichnete „schweigende Mehrheit“ kaum in Erscheinung traten: „Am 10. Januar hat das Recherche-Netzwerk correctiv über das Treffen von Neonazis, finanzstarken Unternehmern, hochrangigen AfD-Politikern und Mitgliedern der Werteunion in einem Hotel in Potsdam berichtet. Bei diesem Treffen am 25. November 2023 planten die Teilnehmer die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. Sie sprachen explizit darüber, dass deutsche Staatsbürger mit Migrationsgeschichte dazu gedrängt werden sollten, das Land freiwillig zu verlassen. Eine Vertreibung, die als programmatischer Euphemismus mit dem Begriff „Remigration“ Inhalt der politischen Zielsetzung der Neuen Rechten und der AfD ist. Bis heute hat keiner der AfD-Teilnehmenden an dem Treffen bestritten, dort über Pläne, Menschen aus Deutschland zu verdrängen, gesprochen zu haben. Und leider hat auch von unseren AfD-Vertretern vor Ort keiner diese Pläne verurteilt, was mich traurig stimmt. Ohne den Holocaust marginalisieren zu wollen – fühlte ich mich unweigerlich an dunkle Zeiten und die Wannseekonferenz erinnert.“
Umso wichtiger sei es in seinen Augen, nun zu zeigen, dass die Mehrheit eben nicht bereit dazu ist, die Straßen und den öffentlichen Raum Demagogen und Extremisten zu überlassen. „Wir setzten heute ein klares Zeichen mit unserer Stimme gegen Extremismus und Spaltung und für die Werte unserer Demokratie. Wir werden aktiv und sind jetzt nicht mehr zu übersehen und zu überhören“, so der Bürgermeister. Insbesondere in Hinblick auf die Europawahl vom 6. bis 9. Juni appelliert er an jede und jeden, dem Europa am Herzen liegt, zur Wahl zur gehen und dabei den Extremisten keine Chance zu geben. Da spiele es keine Rolle, ob Extremisten aus persönlicher Überzeugung oder aus Frust, als Denkzettel für die anderen Parteien oder gegen die da oben gewählt werden. „Wer Extremisten wählt, wählt Extremisten. Punkt!“, so Lukanic.
Insbesondere an den politischen Rändern würden derzeit Hass und Angst geschürt. Für viele Menschen in unserem Land sei das beherrschende Lebensgefühl derzeit Angst. „Angst wovor eigentlich?“, fragt Lukanic, „Pandemie? Inflation? Der Migration? Dem Klimawandel? Angst vor Krieg und Konflikten? Angst vor der Globalisierung? Angst vor Überforderung? Ja, wir haben uns bisher und müssen uns künftig all diesen Herausforderungen stellen, aber das alles ist kein Grund Angst zu haben:
Wir haben die finanziellen Möglichkeiten, wir haben weltweit eines der besten Sozialsysteme, wir sind nach wie vor in der Wirtschaft führend, wir sind Teil der Europäischen Gemeinschaft und der NATO und wir haben kluge Köpfe in diesem Land, die für alle Herausforderungen hart an Lösungen arbeiten und auch Lösungen finden!
Das Schüren von Angst ist inzwischen zum Leitmotiv einiger politischer Akteure geworden. Und ja, sie wollen uns auch Angst einreden und Angst machen. Sie zielen darauf ab, unsere Gesellschaft zu spalten und Menschen gegeneinander aufzubringen. Sie wollen unsere Demokratie, wollen unser Land, das Generationen nach dem 2. Weltkrieg gemeinsam aufgebaut haben, beschädigen.“
Er unterstreicht, es nicht zuzulassen, dass Hass und Angst uns dominieren. „Angst ist bei der Bewältigung von Herausforderungen kein guter Berater. Angst gefährdet unsere Stabilität und Demokratie und wir dürfen uns von ihr nicht leiten lassen. Das ist wie mit der Angst vor dunklen Räumen. Da hilft nur eins: Lampe an, Licht in die Finsternis und Fakten auf den Tisch!“
Das Thema Angst griff auch Landrätin Christiana Steinbrügge in ihrem Redebeitrag auf. „Denn mit dem Neuen wachsen die Erwartungen, Unsicherheiten und auch Ängste der Menschen. Deshalb ist es die Aufgabe von Politik, eine Balance zwischen Aufbruch und Sicherheit zu schaffen. Heute erleben wir, dass die Versprechen auf eine bessere Zukunft für alle so nicht mehr tragen. Wie können wir das gestörte Gleichgewicht wieder in die Waage bringen? Der erste Schritt zeigt sich in diesem Moment hier auf dem Schlossplatz. Sie alle sind da, um den Zusammenhalt zu stärken, um Gemeinsinn erfahrbar zu machen. Natürlich ist es richtig, sich der Grundlagen unserer Demokratie zu vergewissern, zum Beispiel in Gestalt der Menschenrechte. Aber die Quelle einer starken und lebendigen Demokratie ist die begeisternde Erfahrung von Zusammengehörigkeit und Wahrhaftigkeit. Durch Ihre Teilnahme sagen Sie ,Hier stehe ich', so die Landrätin.
Und weiter: „Der zweite Schritt zeigt sich darin, dass wir heute für Demokratie und Menschenrechte einstehen. Für Menschenrechte und Demokratie. Wir verkleinern unsere Möglichkeiten, wenn wir nur gegen etwas sind. Aus Ablehnung, Abgrenzung und Hass entspringt nichts Lebendiges. Lassen Sie uns deshalb weiter blicken und zu leidenschaftlichen Gestaltern einer vertieften Demokratie werden. Der dritte Schritt zeigt sich in den Demonstrationen der vergangenen Monate, in denen wir allen Versuchen der Manipulation unser Nein entgegenrufen. Nein zu allen Versuchen der Vereinnahmung. Nein zu Nationalismus, Autokratie, Antisemitismus, Ausgrenzung und Nein zu einfachen Antworten. Der vierte Schritt zeigt sich dort, wo wir zu Hause sind und wo Sie sich auf die eine oder andere Weise schon einbringen. Demokratie braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen. Verantwortung für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft. Denn diese Demokratie fällt nicht vom Himmel. Und diese Zukunft genauso wenig. Sie muss entworfen, ertastet, erfüllt und errungen werden. Sie fängt im Kleinen an, mit jeder und jedem von uns. Demokratie versteht sich nicht von selbst, aber sie ist unverzichtbar für Freiheit, für Gerechtigkeit, für ein friedliches und gemeinwohlorientiertes Miteinander aller Menschen, für das Glück jedes Einzelnen. In diesem Sinne lassen Sie uns aufbrechen und mehr Demokratie wagen.“
Dass sich viele Jugendliche für Vielfalt und Demokratie einsetzen, skizzierte Marty Falk, Mitorganisator der Veränder.bar. „Das liegt insbesondere daran, was wir an Jugendarbeit in dieser Stadt machen. Ich möchte da zwei Beispiele einmal skizzieren, zum Beispiel nämlich das Summertime Festival. Junge Menschen, die vorher mit dem Veranstalten von Festivals oder Großveranstaltungen nichts am Hut hatten, stellen sich der Herausforderung und stellen für uns jedes Jahr aus neu ein großes Festival auf die Beine. Wir haben so viele wundervolle Projekte und Orte. Ein anderes Projekt möchte ich noch einmal besonders hervorheben, und zwar die Veränderbar. In der Veränderbar ist es vollkommen egal, welche sexuelle Orientierung du hast, wo du herkommst, es ist vollkommen egal, welche Religion du hast. Was für uns zählt, ist, dass du ein Mensch bist und nichts anderes. Jede und jeder wird in der Veränderbar einbezogen. Jeder Gast, der die Veränderbar betritt, ist Teil unserer Familie und in der Veränderbar kannst du Solidarität und Demokratie leben.“
Im Anschluss an die kurzen Redebeiträge übernahm dann die Jazzkantine die Mikros und heizte den Besuchern kräftig ein. Verschiedene Info- und Mitmachstände rundeten das Angebot ab.
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